Büro - Interview

Werner Dittrich und seine Tochter Dr. Anna-Maria von Reitzenstein im Gespräch über die Anfänge, Werte und Visionen des Unternehmens

Wenn Ihr Unternehmen ein Gebäude wäre...

...wäre es ein innovatives Gebäude aus Holz, vielleicht ein großer Saal. Lichtdurchflutet, flexibel und sinnlich erfahrbar.

Was bedeutet es für Sie, Ingenieur zu sein? Was ist das Wesen eines Ingenieurs?

Herr Dittrich: Für mich ist ein Ingenieur im doppelten Sinne ein Brückenbauer. Er muss den Brückenschlag schaffen zwischen Nutzung, einer guten Gestaltung und der optimalen technischen Umsetzung. Für mich bedeutet das Ingenieursein auch, immer nach der bestmöglichen Variante zu suchen. Getreu dem Motto: „Eine Variante ist keine Variante“. Nach dem ersten Einfall muss man so lange weiterforschen, bis man den Königsweg gefunden hat. Danach lebe ich und das gebe ich auch meinen Mitarbeitern mit auf den Weg. Ja, und dann sagt man ja dem Ingenieur noch nach, das Paradebeispiel eines homo technicus zu sein. Das trifft bei mir allerdings nur bedingt zu. Ich habe in meinem Leben auch viele Entscheidungen aus dem Bauch heraus getroffen.

Frau Dr. von Reitzenstein: Ich selbst erlebe bei den Ingenieuren hier im Büro ein sehr hohes Maß an Perfektionsstreben Genau diese Eigenschaft habe ich zu schätzen gelernt, vor allem, wenn man sieht, welche Auswirkung bereits kleine Einflussfaktoren auf die Gesamtplanung haben können. Planungsqualität rechnet sich am langen Ende eben doch.

Herr Dittrich, mit welcher Vision haben Sie das Unternehmen gegründet?

Als ich am Anfang meiner Selbständigkeit stand, habe ich mir nicht ausgemalt, dass das Unternehmen mal soundso viel Mitarbeiter haben oder soundso viel Umsatz machen sollte. Eine große Vision hatte ich also nicht. Was mich aber schon immer ausgezeichnet hat, war das Bedürfnis, neue Wege zu gehen. Nach dem Studium arbeitete ich zunächst im Industriebau und nutzte die gängigen Baumaterialien. Aber dann habe ich das Material Holz für mich entdeckt, das in Deutschland bis dahin als Baustoff keine Wertschätzung erfuhr. Das hat mich sehr fasziniert! Die damit in Verbindung stehenden neuen Technologien wie der Holz-Verbund-Bau oder die Blockverleimung haben wir dann als erstes Büro in Deutschland umgesetzt. Heute kann jeder diese Technologien verwenden, weil sie inzwischen genormt sind. Damals musste man die Konstruktionen aus verschiedenen Teilbereichen zusammensetzen, Berechnungsannahmen treffen und über Gutachten beweisen, dass es funktioniert. Mich hat es immer gereizt, nicht etwas zu machen, was jeder macht, sondern mit guten Ideen und einer gehörigen Portion Beharrlichkeit Neues in die Welt zu setzen. Das treibt mich bis heute an.

“Mich hat es immer gereizt,
nicht etwas zu machen,
was jeder macht,
sondern mit guten Ideen
und einer Portion Beharrlichkeit
Neues in die Welt zu setzen.
Das treibt mich bis heute an.”

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Sie sind jetzt in einem Alter, in dem sich schon viele längst aus ihrem Berufsleben verabschiedet haben. Wie lange planen Sie noch, weiter zu machen?

Herr Dittrich: So langsam will ich ein bisschen kürzer treten. Aber der völlige Ausstieg ist für mich derzeit nicht vorstellbar. Das, was ich tue, ist im eigentlichen Sinne keine Arbeit, sondern pure Leidenschaft, vielleicht sogar Berufung. Aber wir wollen nicht übertreiben. Der Unruhestand kommt früher oder später auch auf mich zu.

Frau Dr. von Reitzenstein: Wenn ich sehe, mit wie viel Freude und Elan mein Vater bei der Sache ist, kann ich mir nicht vorstellen, dass er jemals ganz aufhört. Es ist jeden Tag deutlich zu spüren, dass die Arbeit für ihn eine Kraftquelle ist.

Über welchen Tisch gehen die Projekte, wenn Sie etwas kürzer treten?

Herr Dittrich: Das Büro war überhaupt nie auf eine einzige Spitze hin zugeschnitten, wir haben uns immer als Team und nicht als Pyramide verstanden. Durch die Spezialisierung einiger Kollegen, z.B. auf den vorbeugenden Brandschutz oder die Sanierung denkmalgeschützter Gebäude sind auch Geschäftsbeziehungen erwachsen, die nicht zuerst über meinen Tisch gelaufen sind. Nein, ich denke, das Büro kommt auch wunderbar ohne mich zurecht (lacht). Wichtig ist nur, dass die Bürostruktur erhalten bleibt, aber dafür ist jetzt meine Tochter zuständig. Unter ihrer Leitung hat sich bereits vieles verändert. Das Unternehmen schaut zuversichtlich in die vollen Auftragsbücher.

Frau Dr. von Reitzenstein: Wir haben mehrere sehr erfahrene Projektleiter. Für die ganzen betriebswirtschaftlichen Themen bin ich seit einigen Jahren verantwortlich. Das gibt dem Unternehmensgründer schon länger den Freiraum, sich einerseits auf ausgewählte und spannende Projekte zu konzentrieren und andererseits sein Wissen weiterzugeben. Hin und wieder bekomme ich noch eine kurze Statik-Vorlesung. Wir lernen beide viel voneinander.

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“Es ist unmöglich, dass das Wissen in einer Person liegt.
Wir sind darauf angewiesen, unser Wissen zu teilen.
Ich selbst habe nie mit meinem Wissen hinter dem Berg gehalten.
Das erwarte ich auch von meinen Mitarbeitern.”

Wie sind Sie in das Unternehmen hineingewachsen,
Frau Dr. von Reitzenstein?

Das Büro ist, seit ich denken kann, auch Teil meines Lebens. Es war stets Thema bei uns am Frühstückstisch. Mein Vater erzählte begeisternd von seinen Projekten. Natürlich hat er mich auch immer wieder auf Baustellen mitgenommen schon zu Grundschulzeiten. Als ich etwa zehn Jahre alt war, fuhren wir einmal an die Isar, wo eine Hängebrücke montiert wurde. Das war ein aufregendes Erlebnis!

Ab wann war es für Sie Thema, in die Firma einzusteigen?

Erst mal gar nicht, sonst hätte ich vermutlich Bauingenieurwesen studiert. Ich bin zuerst eigene Wege gegangen, habe Wirtschaft und Philosophie studiert, in der Industrie, in verschiedenen Agenturen und an der Hochschule gearbeitet. 2008 hat mein Vater mich dann beauftragt ein Kommunikationskonzept für das Büro zu entwickeln. So bekam ich nach 15 Jahren überhaupt erst wieder engeren Kontakt zum Unternehmen. Sukzessive habe ich dann immer mehr Aufgaben übernommen, bis schließlich die Variante das Ganze eines Tages abzuwickeln oder zu verkaufen keine Option mehr war. Irgendwann war es einfach keine Frage mehr, das Unternehmen weiterzuführen, sondern ein Faktum.

Warum wollten Sie an der Firma festhalten?

Je länger ich für das Büro tätig wurde, umso bewusster wurde mir, was mein Vater hier Außerordentliches aufgebaut hat. Zu Hause war er eben der Papa. Hier habe ich ihn von seiner unternehmerischen Seite gesehen. Er und seine Kollegen haben großartige Dinge entwickelt und umgesetzt – und darauf können wir hier sehr stolz sein. Genauso wichtig wie diese technischen Meilensteine ist für mich aber auch die Atmosphäre im Büro. Der Geist stimmt einfach: Die Art und Weise wie hier zusammengearbeitet wird und der persönliche Umgang miteinander.

Was macht das Büro für Sie so besonders?

Herr Dittrich: Was uns, glaube ich, auszeichnet, ist, dass wir die bereits existierenden Lösungen stets kritisch hinterfragen. Ich war und bin in vielen Normengremien und weiß daher sehr gut, woran gerade geforscht wird. Der eine prüft einen neuen Dübel, der andere einen neuen Werkstoff. Mit diesem Wissen kann man frühzeitig etwas Neues machen. Das zeichnet uns wohl aus, dass wir immer auf dem neuesten Stand sind und nicht nur das machen, was in der Norm drinsteht. Das ist auch der Grund dafür, warum wir hier im Büro unser Wissen teilen. Das stärkt den Teamgeist! Jeder ist auf seinem Gebiet Experte. Der eine Mitarbeiter ist ein Crack in der Fassadenplanung, der zweite Experte für die Planung von Spezialtiefbau, der dritte ein Fachmann für Wärmeschutz. Wenn jemand eine Frage hat, die in das Sachgebiet eines anderen fällt, dann weiß er, wo er Hilfe bekommt. Das ist unabdingbar in einer Welt, die auch hinsichtlich von Baustoffen immer komplexer wird. Es ist unmöglich, dass das Wissen in einer Person liegt. Wir sind darauf angewiesen, unser Wissen zu teilen. Ich selbst habe nie mit meinem Wissen hinterm Berg gehalten. Das erwarte ich auch von meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Frau Dr. von Reitzenstein: Auf diesem Weg gehen wir hier weiter. Der Wunsch, innovativ zu arbeiten und neue Wege zu beschreiten, ist nicht nur der Puls der Zeit, sondern unsere Magna Carta. Letzte Woche erst habe ich einen Brief meines Vaters an eine Behörde gelesen, woraus dieses Streben klar hervorgeht. Er schrieb: „Wenn ich mich immer daran gehalten hätte, was machbar oder erlaubt ist, dann gäbe es heute in Deutschland kein Bürogebäude, keine Schule und keine Brücke aus Holz!“

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“Genauso wichtig wie diese
technischen Meilensteine 
ist für mich
auch die Atmosphäre des Büros:

Die Art und Weise, wie hier
zusammengearbeitet wird,

der persönliche Umgang miteinander.
Das sind für mich Werte,

die es zu bewahren gilt.”

Auf welches Bauwerk sind Sie besonders stolz,
Herr Dittrich?

Auf die Wertstoffrecyclinganlage in Wien mit ihrem riesigen Holzdach. Ein runder Bau mit 180 Meter Durchmesser und 70 Meter hoch mit einem Hängedach. Das haben wir 1980 gebaut, damals noch mit sehr bescheidenen technischen Mitteln. Ursprünglich wollte der Architekt das als Betonschale bauen. Schließlich fragte er uns, ob das auch mit Holz ginge. Wir haben uns die Sache angeschaut und ihm geantwortet: „Ja, das geht auch in Holz!“ Und dann wollte er auch noch, dass das Gebäude in einem Jahr steht. Da haben wir uns mächtig ins Zeug gelegt. Damals war ich gerade mal vierzig Jahre alt. Damit war die Aufbruchsstimmung im Holzbau da!

Herr Dittrich, was hinterlassen Sie dem Unternehmen als Erbe?

Zweitausend gebaute Beispiele und die damit einhergehende Erfahrung.

Frau Dr. von Reitzenstein: Einen tadellosen Ruf, eine solide wirtschaftliche Basis und den hohen Anspruch an Qualität.

Wie sieht das Unternehmen in zehn Jahren aus?

Frau Dr. von Reitzenstein: Wir werden wohl noch etwas wachsen, vielleicht auf vierzig Mitarbeiter. Wir werden weitere, exzellent ausgebildete und erfahrene Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen einstellen, mit denen wir tolle Projekte umsetzen.

Gibt es einen Leitspruch oder ein Motto, das Sie beide trägt?

Herr Dittrich: Geht nicht gibt’s nicht!

Frau Dr. von Reitzenstein: Es gibt für alles eine Lösung!

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